Ein Jahrhundert Forschung an der Fundstelle des Homo heidelbergensis in Mauer

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Verfasser des Artikels: Prof. Dr. Günther Wagner, Ehrenmitglied unseres Vereins.

Die Entdeckung des frühmenschlichen Unterkiefers in der Sandgrube ‚Grafenrain‘ zu Mauer am 21. Oktober 1907 und die im Jahr darauf erfolgte Veröffentlichung durch den Heidelberger Privatgelehrten Otto Schoetensack war eine wissenschaftliche Sensation. Der Fund erregte seinerzeit großes Aufsehen. Der „Heidelberger“ ist zusammen mit dem Neanderthaler von 1856 und dem Pithecanthropus von 1890 einer der klassischen paläoanthropologischen Funde, die das Verständnis über unsere Herkunft revolutionierten.

Diese mustergültige Monographie hat bis heute ihren hohen wissenschaftlichen Wert behalten. Schoetensack würdigt ausdrücklich die Beiträge der an der Erforschung beteiligten Kollegen. Auf Antrag von Wilhelm Salomom macht die 1909 gegründete Heidelberger Akademie der Wissenschaften die „Bergung der Fossilfunde von Mauer“ zu ihrem ersten Forschugsvorhaben. Die Akademie hat drei Jahrzehnte lang die Bergung in der Sandgrube Grafenrain unterstützt und die Funde dem damaligen Geologischen Institut in Heidelberg übergeben.

Die Folgejahre haben trotz zweier Kriege die Forschungen zum Homo heidelbergensis und dem Fundplatz Mauer eine Vielzahl von Arbeiten hervorgebracht, die weit verstreut publiziert worden sind. Stellvertretend sei hier das Akademiemitglied Wolfgang Soergel mit seinen Untersuchungen über die Großsäugerfunde und das geologische Alter des Homo heidelbergensis genannt. Aber ohne den Wert der einzelnen Arbeiten schmälern zu wollen, gehen die dabei gewonnenen Ergebnisse nicht wesentlich über diejenigen der Erstbeschreibung von 1908 hinaus.

Die Gemeinde Mauer hat ihrem berühmten Fund die Treue bewahrt. Es wurden Gedenksteine gesetzt, Vorträge gehalten und Exkursionen ermöglicht; bei einer solchen konnte ich im Mai 1962 dier Sandgrube noch im aktiven Betrieb erleben. Dieses Alleinstellungsmerkmal von Mauer hat einen 1976 jung ins Amt gewählten Bürgermeister inspiriert, zu neuen Ufern aufzubrechen. Erich Mick wollte den Homo heidelbergensis stärker in den Mittelpunkt des Gemeidelebens rücken und nahm Kontakt zu Reinhart Kraatz, dem Kustos des damaligen Geologisch-Paläontogischen Instituts auf. Damit war die Verbindung zwischen dem Fundort Mauer und dem Aufbewahrungsort des fossilen Unterkiefers hergestellt. So wurde am 21.Oktober1982, aus Anlass der 75-jährigen Fundwiederkehr, im Rathaus das `“Urgeschichtliche Museum“ eingeweiht und 25 Jahre später umfangreich erneuert und aktualisiert. Doch bis zum Neustart intensiver Forschungen vergingen noch einige Jahre.

Lothar Späth, der Ministerpräsident von Baden-Württemberg, besuchte 1988 die Heidelberger Akademie, denn diese ist die Wissenschaftsakademie des Landes. Er wurde vom Sekretar der Mathematisch-naturwissenschaftlichen Klasse, Hans Elsässer, in die wissenschaflichen Aktivitäten eingeführt. Auf die Anfrage des Sekretars, ob das Land weitere Finanzmittel zu Verfügung stellen könnte, erwidert Späth, das sollte dann aber für etwas Neues, etwa naturwissenschaftliche Aktivitäten in der Archäologie sein. Elsässer meinte, das sei kein Problem und rief mich später am Max-Planck-Insitut für Kernphysik an, ob ich dafür ggf. zur Verfügung stünde. Die Akademie richtete daraufhin 1989 die Forschungsstelle Archäometrie ein. Für mich war klar, dass ein Forschungsschwerpunkt dieser Einrichtung der Homo heidelbergensis sein müsse. So half die Akademie ein weiteres Mal. Nun war die Voraussetzung vorhanden, gemeinsam mit Erich Mick und Reinhart Kraatz etwas Größeres auf den Weg zu bringen. Für 1990 war ohnehin das Internationale Symposium für Archäometrie geplant. Schon das Logo zeigt den Unterkiefer mit einer Sanduhr. Die über 300 Teilnehmer wurden auch an die Fundstelle und zun festlichen Abend in Mauer eingeladen.

Als erste Aktivität wurden im Herbst 1991 zwei Forschungsbohrungen nahe der Fundstelle abgeteuft, um weitere Erkenntnisse zum Alter und zur Umwelt des Homo heidelbergensis zu gewinnen. Der Kern der Bohrung 1 ist im Eingangsbereich der Reiss-Engelhorn-Museen in Mannheim, das sich nun dazu gesellte, aufgestellt. Die nachfolgenden, weit gefächerten Forschungen seien hier nur kurz skizziert, denn sie sind in den unten aufgeführten Büchern ausführlich beschrieben. Sie umfassen Sedimentologie, Fauna (Groß- und Kleinsäuger), Flora (Pollenanalyse), Biostratigraphie, radiometrische Datierung (Lumineszenz, Uran/Thorium), Magnetostratigraphie, Paläoklimatologie, Geomorphologie, Paläoanthropologie, Isotopengeochemie sowie Urgeschichte. Ein von der Klaus Tschira Stiftung finanziell unterstütztes „International Symposium – 100 Years Homo heidelbergensis“ wurde im Oktober 2007 im Studio der Villa Bosch in Heidelberg veranstaltet.

Ein Höhepunkt unserer Forschung war die Datierung des Homo heidelbergensis. Jede historische Wissenschaft benötigt ein Zeitgerüst, das überlieferte Ereignisse nach ihrer chronologischen Abfolge ordnet. Erst dadurch lassen sich die Ereignisse untereinander in zeitliche Beziehung setzen und kausale Zusammenhänge erkennen. Das betrifft auch den Homo heidelbergensis aus Mauer. Die Untersuchung der Fauna; vor allem die Kleinsäuger, aus der Fundschicht ermöglichen die stratigraphische Korrelation mit den marinen Sauerstoff-Isotopenstufen MIS-13 oder MIS-15, was etwa 500.000 bzw. 600.000 Jahren entspricht. Radiometrische Datierungen ergeben numerische Alter, also direkt in Jahresangaben. Dies gelang nun erstmals – zusammen mit Kollegen aus Paris und Freiberg -, und zwar mit zwei verschiedenen Methoden an Zähnen und an Sandkörnern aus der Fundschicht. Aufgrund dieser Datierungen von 609.000 +/- 40.000  Jahren gehört der Mauerer Homo heidelbergensis in die MIS-15 Warmzeit. Er ist damit der früheste seiner Art in Europa.

Die Datierungen wurden auch auf die Ablagerungen über und unter der Fundschicht ausgedehnt. Damit ergibt sich für das Profil Grafenrain eine Altersabfolge für die letzten 750.000  Jahre mit ihren ausgeprägten Warm-/Kaltzeit-Zyklen (hier Bild). Die Sedimente mit ihren fossilen Tier- und Pflanzenresten sind ein wertvolles Archiv der Klimageschichte Mitteleuropas und könnten interessant für künftige Forschungen sein.

Unsere Erfahrungen nach 20 Jahren erfolgreichen wissenschaftlichen Arbeitens:

1) Transdisziplinäre Einbindung aller betroffenen Fächer (vgl. Anhang).

2) Identifikation der einzelnen Forscher mit dem Gesamtprojekt. Das fördert nicht nur deren Einsatz, denn sie forschen dann auch im Eigeninteresse. Es entfallen Personal- und Betriebskosten. Hier zum Beispiel die numerische Datierung; angefallen sind nur geringe Reisekosten.

3) Die regelmäßige Präsentation der Ergebnisse auf Führungen sowie in Vorträgen.

4) Ein guter Kontakt zur Gemeinde und deren Verwaltung, hier der engagierte Bürgermeister Erich Mick. Die Bevölkerung nahm regen Anteil am Fortschritt der Forschungsarbeiten.

Anhang:

Von Mitgliedern des „Archäometrie-Arbeitskreis Mauer“ und nachfolgenden „Verein Homo heidelbergensis von Mauer e.V.“ herausgegebene Bücher:

1992: Schichten von Mauer

1996: Homo erectus heidelbergensis von Mauer – Neue Funde und Forschungen zur frühen Menschheitsgeschichte Eurasiens mit einem Ausblick auf Afrika

1997: Homo heidelbergensis von Mauer – Das Auftreten des Menschen in  Europa

2001: Frühe Menschen in Mitteleuropa – Chronologie, Kultur, Umwelt

2007: Spuren im Sand – Der Urmensch und die Sande von Mauer

2007: Homo heidelbergensis – Schlüsselfund der Menschheitsgeschichte

Beteiligte Institutionen und Personen:

Institut für Geowissenschaften der Univ. Heidelberg: Heinrich Bahlburg, Thilo Bechstädt, Heinrich Christmann, Ulrich Glasmacher, Johanna Kontny, Reinhart Kraatz, Götz Menges, Volker Schweizer, Volker Liebig, Kristina Eck

Institut für Ur- und Frühgeschichte Univ. Heidelberg: Clemens Eibner

Geographisches Institut Univ. Heidelberg: Bernhard Eitel, Fritz Fezer

Institut für Sportwissenschaft Univ. Heidelberg: Hermann Rieder

Zoologisches Institut Univ. Heidelberg: Volker Storch

Lehrstuhl Geomorphologie Univ. Bayreuth: Ulrich Hambach, Ludwig Zöller

Institut für Anthropologie Univ. Mainz: Thorolf Hardt, Winfried Henke

Friedrich-Ebert-Gymnasium Sandhausen: Manfred Löscher, Ingmar Unkel

Institut für Ur- und Frühgeschichte Univ. Jena: Dietrich Mania, Ursula Mania

Forschungsstation Quartärpaläontologie Weimar: Christian Maul

Geographisches Institut Univ. Tübingen: Erhard Bibus

Institut für Ur- und Frühgeschichte Univ. Tübingen: Hansjürgen Müller-Beck, Alfred Czarnetzki

Institut für Geologie Univ. Düsseldorf: Wolfgang Schirmer

Staatliches Museum für Naturkunde Karlsruhe: Eberhard Frey, Dieter Schreiber

Fachhochschule Nordostniedersachsen Suderburg: Brigitte Urban

Forschungsstelle Archäometrie Akad. Wiss. Heidelberg: Günther Wagner, Ralf Walther, Solveig Schiegl

Forschungsstelle Radiometrie Akad, Wiss, Heidelberg: Augusto Mangini

Rathaus Mauer: Erich Mick, Norbert Preiss, Jürgen Schweizer

Institut für Angewandte Geowiss. TU Darmstadt: Wilfried Rosendahl

Archäologische Sammlungen Reiss-Museum Mannheim: Karl Beinhauer, Dietrich Wegener, Günther Hormuth

Institut für Mineralogie und Petrographie LMU München: Thomas Fehr, Stefan Hölzl, Peter Horn

Archäologische Denkmalpflege Marburg: Lutz Fiedler

Institut für Anthropologie und Humangenetik Univ Frankfurt: Christian Foitzik, Reiner Protsch

Institut für Paläontologie Univ. Bonn: Wighart von Koenigswald

Dipartimento di Science della Terra Univ. Modena: Gian-Paolo Sighinolfi

Geologisches Landesamt Schleswig-Holstein: Helmut Stremme

Historisches Institut Univ. Stuttgart: Karl Dietrich Adam

Institut de Paleontologie Humaine Paris: Silvana Condemi

Forschungsstelle Senckenberg Frankfurt: Jens Lorenz Franzen

Hessisches Landesmuseum Darmstadt: Friedemann Schrenk

Institut für Angewandte Physik Freiberg: Matthias Krbetschek

Verein für Kernverfahrenstechnik Rossendorf Dresden: Detlev Degering

Departement de Prehistorie Paris: Jean-Jaques Bahain, Pierre Voinchet, Qingfeng Shao, Christophe Falqueres

Laboratoire National Henry Becqerel Gif-sur-Yvette: Jean-Michel Dolo, Tristan Garcia

Peabody Museum Harvard Univ. Cambridge: Philip Rightmire

Dargestellt ist die Tiefe der einzelnen Ablagerungen des Profils Sandgrube Mauer-Grafenrain in Abhängigkeit vom geologischen Alter. Es umfasst die letzten 750.000 Jahre mit dem Muschelkalk als Basis in 39 m Tiefe. Die fluvialen Neckarsedimente sind über 27 m erhalten und mit durchschnittlich 0,073 m/Jahrtausend abgelagert worden; bemerkenswert ist der erhöhte Wert für die Lettenbank. Auffällig ist die Alterslücke zwischen ca. 380.000 und 280.000 Jahren, die durch Rückzug der Neckars aus dem südlichen Ende der Mäanderschlinge verursacht wird. Danach folgen ab ca. 12 Meter Tiefe die äolischen Lösse der letzten drei Kaltzeiten. In den Warmzeiten bildeten sich auf ihnen Paläoböden.