Kustos des Homo heidelbergensis
Am 13. Juli 2025 würde Dr. Reinhart Kraatz 100 Jahre. Er, dessen Name in weiten Kreisen mit dem Homo heidelbergensis verbunden ist, wurde im November 1996 auf tragische Weise durch einen Unfall mitten aus seinem aktiven Forscherleben gerissen. Als Kustos am Geologisch-Paläontologischen Institut der Universität Heidelberg hat Reinhart Kraatz über Jahrzehnte hinweg den weltbekannten Urmenschenfundaus Mauer sorgsam gehütet und ihm sein Forschungsinteresse, auch nach seiner Pensionierung, gewidmet.
1925 in Seesen am Harz geboren, studierte er ab 1946 Geologie an der Bergakademie Clausthal, wo er 1954 die Diplom-Geologen-Prüfung ablegte und 1956 zum Dr. rer. nat. promovierte. Nach ersten wissenschaftlichen Stationen in Clausthal und Berlin trat er im Oktober 1962 die Stelle des Konservators am Geologisch-Paläontologischen Institut der Universität Heidelberg an. 1966 erfolgte die Ernennung zum Akademischen Oberrat.
In Heidelberg machte sich Reinhart Kraatz besonders um die didaktisch hervorragende Gestaltung der öffentlichen Schausammlung, im damals neu erbauten Geologisch-Paläontologischen Institut, verdient. Er war es auch, der die Mauer-Sammlung mit ihren über 4000 Säugetierknochen zum örtlichen Schwerpunktarchiv der Hominidenforschung ausbaute. Zahlreiche Paläontologen und Anthropologen aus aller Welt kamen, um den Unterkiefer des Homo heidelbergensis zu sehen und sich auszutauschen. Für seine Pflege und Mehrung dieser wissenschaftlichen Sammlungen wurde Dr. Reinhart Kraatz 1980 vom Ministerium für Wissenschaft und Kunst zum Akademischen Direktor ernannt.
Reinhart Kraatz war ein begeisterter und begeisternder Lehrer. Zur Einführung in die Geologie der Heidelberger Umgebung führte er Generationen von Studenten auf Exkursionen, die gute körperliche Konditionen abverlangten. So auch auf seinen großen Exkursionen nach Frankreich und England und zu den Vulkanen in Italien, Indonesien und besonders auf Hawaii.
Er wusste, dass neue Erkenntnisse über den frühesten Mitteleuropäer nur im Vergleich zu anderen Funden zu gewinnen sind: So richtete er seinen Blick über die Fundstelle in Mauer hinaus und suchte 1977 Kontakt zu dem Paläoanthropologen Henry de Lumley, mit dem er gemeinsam den Fundplatz des “Menschen von Tautavel“ in der französischen Pyrenäen-Höhle Arago besuchte. Damit war der Anfang gemacht für eine lange Zusammenarbeit an den beiden Fundstellen.
Aus dieser Verbindung heraus entstand dann, gemeinsam mit dem 1976 gewählten jungen Bürgermeister von Mauer, Erich Mick, die Idee einer deutsch-französischen Partnerschaft zwischen den Gemeinden Mauer und Tautavel. Als diese in Südfrankreich besiegelt wurde, standen sozusagen die Ureuropäer Pate für eine Verschwisterung im heutigen Europa. Beim Festakt am 11. Juli 1981 in Tautavel hielt Reinhart Kraatz den Vortrag „Der Mensch von Mauer – ältestes Zeugnis der Menschheitsgeschichte auf europäischen Boden“.
1980/81 begannen auch die Planungen für das „Urgeschichtliche Museum“ am Rathaus von Mauer, das anlässlich der 75-jährigen Fundwiederkehr am 21.10.1982 eingeweiht wurde. Natürlich war an diesem Tag auch das Original des Unterkiefers mit dabei, der von vielen Besuchern bestaunt und erstmals gesehen wurde.
Zur 100-jährigen Wiederkehr des Urmenschenfundes von Mauer, wurden die Räumlichkeiten 2007 neu gestaltet und konnten im Jubiläumsjahr und bis heute weiterhin Besucher begeistern. Fast unverändert blieb aber die Ausstellung selbst, die ein großer Verdienst von Reinhart Kraatz ist, der sich 1982 mit seinem großen Fachwissen unermüdlich einbrachte und in unzähligen Stunden an der Gestaltung mitarbeitete und über das Geologisch-Paläontologische Institut der Universität Heidelberg, etliche Dauerleihgaben zur Verfügung stellte.
In dieser Zeit entstanden viele Begegnungen und Freundschaften mit Menschen aus Mauer. So besonders mit Bürgermeister Erich Mick, der ihn mit seiner Frau Erika am Tage des 75. Fundjubiläums, am 21. Oktober 1982, kurz vor der Eröffnung und Einweihung, inmitten des Urgeschichtlichen Museums standesamtlich traute. Seither wurden dort an die 1000 Paare getraut!
Bis zu seinem, auf der Fahrt von Heidelberg nach Mauer, unverschuldeten Autounfall, konnte Reinhart Kraatz in seinen Vorträgen, unzählige Besucher im Urgeschichtlichen Museum über den „Urmenschen von Mauer“ informieren und begeistern.
Dies tat er auch weltweit auf Kongressen und Symposien. Mit viel Freude erzählte Reinhart Kraatz immer wieder gerne, wie er in Begleitung seiner Frau Erika, 1984, das Original des Unterkiefers vom Homo heidelbergensis im Handgepäck, zu einem mehrtägigen Symposium ins American Museum of Natural History in New York, N.Y. brachte und am Flughafen, von eigens dafür beauftragten Security – Mitarbeiter, in einem gesicherten Fahrzeug abgeholt wurde.
Das große Interesse von Wissenschaftlern und interessierten Bürgern, führte 1988, im Rathaus von Mauer, zur Gründung der Archäometrie-Arbeitsgruppe Mauer. Den Vorsitz hatte bis zu seinem Tod Dr. Reinhart Kraatz, ihm folgte Prof. Günther Wagner. Ziel der Gruppe war die genauere Altersdatierung des Homo heidelbergensis und mehr über dessen Umwelt zu erfahren. Grabungen, Bohrungen und daraus resultierende wissenschaftliche Untersuchungen führten zu neuen Erkenntnissen, die in zahlreichen Publikationen veröffentlicht wurden.
Aus der Archäometrie-Arbeitsgruppe wuchs bei den alljährlichen Treffen der Gedanken, einen Verein zu gründen; dies erfolgte dann 2001. Im 350 Mitglieder umfassenden und mittlerweile 24 Jahre alten Verein „Homo heidelbergensis von Mauer e.V.“ hätte sich Reinhart Kraatz sicherlich sehr wohl gefühlt und sich mit seinem reichen Wissen engagiert eingebracht. Davon sind alle im Verein, die ihn kannten, mochten und sehr schätzten, überzeugt und denken – wie auch die Gemeinde und ihn gekannten ältere Mitbürger – mit großer Dankbarkeit an einen liebenswerten Menschen und Freund, der 1996 seine letzte Ruhestätte auf dem Friedhof in Mauer fand.
Erich Mick
(Ehrenvorsitzender)
